Prozesse der Schützen vor dem Stadtgericht
Wie sehr die Bürgerschützen auf die genaue Einhaltung ihrer Statuten achteten, läßt sich daraus ersehen, daß vor dem Stadtgericht zahlreiche Prozesse gegen solche Mitglieder angestrengt wurden, die gegen die Satzung verstoßen hatten, sich aber dem Schiedsspruch des Vorstandes nicht unterwerfen wollten.
So fand zum Beispiel am 26. April bzw. am 30. April 1703 ein Prozeß gegen Johann Bernd Becker statt, der für seinen Lehrjungen nicht dessen Anteil zum Wachs für die Kerze der Bruderschaft in der Kirche bezahlen wollte. Während der Verhandlung benahm er sich so "freuellmühtigh" gegen die anwesenden Ratsleute und die Richtleute der Bruderschaft, daß man beschloß, daß er "von seinem handtwerck so langh abgewiesen undt nit gestattet werde, biß dahin er sich inhalts der Rollen bequem mache", und das Wachs seines Lehrjungen bezahlt habe. Außerdem hatte er eine Strafe von drei Goldgulden zu entrichten. Auf sein Bitten hin wurden ihm dann von dieser Summe zwei Goldgulden nachgelassen, einen hatte er jedoch unverzüglich zu bezahlen.
Quantitativ am häufigsten sind solche Streitfälle, in denen einige Schützenbrüder für ihr unangemessenes und nicht den Satzungen entsprechendes Verhalten während des alljährlichen Gelages, das die Bürger im Beisein ihrer Frauen auf dem Rathaus veranstalteten, gerügt und gestraft wurden.
Bei diesen Streitigkeiten ging es mitunter recht roh und derbe zu, wie folgende Beispiele zeigen.
Am 25. Mai 1698 klagten der Richtmann und die Scheffer gegen die Schützen Hans Jakob, Robberts, Potthoff, Johann Winter, Michael Rolffs, Johann Schnaits, Johann Prein und ihre Komplizen Johann Berndt, Peter Puppe, Hermann Böck1er, Buße, Heinrich Prein und Johann Lange.
Diese hatten sich bei der Feier des Gelages, allerdings schon zu vorgerückter Stunde, nicht nur nicht an die Aufforderungen der Vorgesetzten gehalten, den Abend zu beschließen, und schon allein dadurch gegen die Regel verstoßen, sondern sie hatten auch in den Keller eindringen und sich dort eigenmächtig Bier zapfen wollen, obwohl noch genug auf den Tischen herumstand. Die Kläger betonten, sie hätten versucht, ihre angetrunkenen Mitbrüder an diesem Vorhaben zu hindern. Die hingegen hätten ihrem Ärger mit wüsten Beschimpfungen, wie etwa "wehr sein die scheffnere ... hvndts futtere und schurcken" Luft gemacht, seien in den Keller eingedrungen, hätten sich dort bedient und anschließend die Kellertüre mit einem anderen Schloß wieder zugeschlossen und sich somit den alleinigen Zugang gesichert.
Der Vorstand bat nun darum, die Aufrührer zu bestrafen und herauszufinden, wer das neue Schloß vor die Tür gehangen hatte.
Die Angeklagten widersprachen und behaupteten, sie hätten dies alles nicht aus eigenem Antrieb getan, sondern auf Wunsch und Aufforderung der überwiegenden Mehrheit der versammelten Schützen.
Der weitere Gang des Rechtsstreites ist nicht in allen Einzelheiten genau überliefert. Es fand jedoch nach dieser ersten noch eine weitere Verhandlung statt, deren Protokoll nicht erhalten geblieben ist. Dabei wurden Hans Jakob, Robbert, Michael RoIlfs, Hermann Böckler und Buße für voll schuldig befunden. Sie hatten eine Brüchte (= eine Geldstrafe) zu bezahlen, die sie auch wirklich entrichteten.
Ein Jahr später, am 9. Juni 1699, kam es zur abschließenden Verhandlung gegen die restlichen Angeklagten, über deren Verlauf wieder ein Protokoll vorliegt.
Die vorgeladenen Schützen Johann Schnait und Peter Puppe behaupteten, zum Zeitpunkt der Rebellion gar nicht im Raume gewesen zu sein. Wenn man ihnen das Gegenteil nachweise, wären sie bereit, freiwilIig einen halben Reichstaler zu bezahlen. Auch Heinrich Prein behauptete, unschuldig angeklagt zu sein, "hette nicht ein wortt darzu geredet hette still gesessen undt sein bier welches in der kanne gehabt ruhig getruncken". Die übrigen Angeklagten, insbesondere Potthoff, Winter und Johann Prein weigerten sich zunächst, der Aufforderung vor Gericht zu erscheinen, Folge zu leisten.
Potthoff beteuerte, als er schließlich doch auftrat, ebenfalls seine Unschuld, "wölte sein theil deß himmelß verl iehren, wan die geringste wissenschaft dar von wüste".
Der Mitangeklagte Johann Prein wollte sogar einen Dukaten geben, wenn irgend jemand beweisen könnte, daß er einen Ton dazu gesagt hätte. Er gab aber zu, daß er, weil er zu betrunken gewesen wäre, auf Verlangen des bis dato noch nicht
angeklagten Hermann Kramer das Schloß geholt hätte, mit dem die Kellertür wieder verschlossen worden wäre.
Johannes Lange sagte aus, er "wehre gantz ohnschuldig wuste nichts davon hette stille gesessen undt sein bier getruncken". Nun wurden noch einmal die bereits Verurteilten vorgeladen und aufgefordert, bei ihrem Schützeneid die Wahrheit zu sagen.
Diese bezeugten, daß Johann Schnait und Peter Puppe mit im Keller gewesen wären. Sie wären aber nicht unter denen gewesen, die den Vorstand beschimpft hätten. Heinrich Prein hätte dabei ebenfalls in aller Stille sein Bier getrunken, sei dann aber aufgestanden und mit in den Bierkeller gegangen. Johann Prein hätte aus eigenem Antrieb das neue Schloss geholt, niemand hätte ihn dazu genötigt. Sie könnten aber nicht mehr sagen, ob Johann Lange ebenfalls schuldig sei, sie würden ihn daher freisprechen. Johann Michels aber wäre absolut schuldig und könnte das auch nicht leugnen.
Aufgrund dieser Zeugenaussage hielt man die angeklagten Schützenbrüder für überführt, und sie hatten ebenso wie ihre bereits verurteilten Mittäter eine Strafe zu entrichten, bei der es sich um die Stellung von Wachs für das Licht der Bruderschaft in der Kirche handelte. Die genaue Höhe der jeweiligen Strafe geht aus der Quelle nicht hervor. Der Schütze Herrmann Cramer, dem die Idee mit der Auswechslung des Schlosses gekommen war, wurde zwar nicht verurteilt, er gelobte aber, freiwillig zwölf Groschen zu zahlen.
Am 21.5.1709 klagte der Schütze Baldtz Becker vor dem Magistratgericht gegen seinen Mitbruder Johann Seigers. Seigers hätte ihn beinahe umgebracht, wenn nicht die beiden Schützen Peter Moritz und Andreas Böckler dazwischengetreten wären:
"Klaget ahn, wie daß als gestern den Schünzen König heimb gebracht beklagter ihne öffentlich vor einen scheilmen ohne die allergeringste gegebene Ursach nit allein außgeruten sondern soghar wan ihnen der peter Moritz und dreeß böckh1er den stoß verseifzet hette, mitt seinem in händen gehabten rohr, todt gestosen hefle"
Der Kläger bat nicht nur um Bestrafung seines Kontrahenten, sondern verlangte auch, daß dieser seine Beleidigung öftentlich widerrufen solle. Johann Seigers begehrte, nicht zu hart bestraft zu werden, "weilen gantz truncken undt toll gewesen".
Die Angelegenheit endete mit einem Vergleich; der Angeklagte mußte widerrufen, brauchte aber nur eine Strafe von zwölf Groschen zu zahlen.
Anklagen wegen ungebührlichen Benehmens, wegen Zänkereien und des Verschüttens von Bier während des Schützengelages sind in den Gerichtsakten noch häufiger anzutreffen. Dabei spielt mitunter die holde Weiblichkeit eine besondere Rolle. So entstand zum Beispiel im Jahre 1705 Streit zwischen zwei Schützen, weil der eine den anderen nicht mit seiner Ehefrau tanzen lassen wollte. Drei Jahre später warf man den Hund des Schützenbruders Johann Georg Teipel aus dem Rathausfenster. Dem Hermann Bickermann, der Tabak geraucht hatte, "ein solches einem ehrbaren schuttzen nicht anstehndig", wurde die Strafe erlassen, weil er nachweisen konnte, daß er zu betrunken gewesen war, um noch zu wissen was er tat.
Am 17. Juni 1713 klagte Baldtz Becker gegen Margareta Arens, die ihm während des Gelages am Schützenfestdienstag in aller Öffentlichkeit auf dem Rathaus vorgeworfen hatte, er habe während der Nacht von Montag auf Dienstag verbotenerweise in der Feststube durchgezecht. Dies sei eine Lüge. Beide wurden aufgefordert, ihre Behauptungen vor dem Fest des Folgejahres zu beweisen, ansonsten würden sie von der Feier des Gelages ausgeschlossen.
Dem Schützenbruder Johann Jost Fromme wurde vorgeworfen, während der Feier am Dienstag den Hut aufgesetzt zu haben. Der Angeklagte behauptete, er sei zu betrunken gewesen, um sich noch an irgend etwas zu erinnern und bat, von einer Strafe abzusehen.
Im Jahre 1714 wurden die neuaufgenommenen Mitglieder Dirk Kellerhof und Bernd Wrede wegen Ungehorsams zu je zwei Bütten Biers bestraft, weil sie lautstark Kuchen für sich gefordert hatten und sich an der Tafel gleich oben an die besten und dem Vorstand reservierten Plätze gesetzt hatten.
Eine aufsehenerregende Beleidigungsklage wurde am Dreifaltikeitssonntag des Jahres 1725 vor dem Hirschberger Stadtgericht verhandelt. Der Schütze Christophel Prein warf seinem Kontrahenten Johann Beckmann, genannt Cruse, mit dem er während des Gelages in Streit geraten war, vor, dieser habe sich im Verlauf der hitzigen Debatte dazu hinreißen lassen zu behaupten, "seinn fraw wehre nit würdig daß sie unter dem glach wehre". Darauf sei er augenscheinlich nach Hause gegangen. Als er, Prein, dann selbst das Rathaus verlassen habe, habe sich diese Annahme als falsch erwiesen. Der Angeklagte hätte ihm aufgelauert und ihn verletzen wollen ("hette Er ihme aufgepaßett undt mitt steinen werfen wolln"). Johann Beckmann bestritt dies und verlangte, daß der Kläger seine Behauptungen beweisen solle. Christophel Prein benannte daraufhin drei Zeugen. Der erste, Tönnes Arndt, sagte aus, er habe nur gehört, daß der Angeklagte gesagt habe, "daß CIagers ehefraw nit capabell wehre mitt andern frawen unter des schüttzen glach zu kommen". Johann Geiseler konnte sich nur daran erinnern, daß Beckmann den Kläger und den ebenfalls anwesenden Schützen Hermann Böckler "vorn schellm gescholtten" hätte. Die Aussage des dritten Zeugen Tönnes Gordes ist wie folgt festgehalten: "...tönnes gordes deponirt, daß der beklagter gesagt habe Er aestimirte Clageres ehefraw nit mehr alß ein hundt...".
Die Richter sahen es damit als erwiesen an, daß der Angeklagte während der Feier des Schützenfestes gegen die Schützenrolle verstoßen hatte und verurteilten ihn zur Zahlung von einer Tonne Bier.
Die Richter hatten aber nicht nur mit solchen überwiegend alkoholbedingten Vergehen gegen die Statuten der Gesellschaft zu tun, sondern auch mit Straftaten, die das Selbstverständnis und die eigentliche Aufgabe der Schützenbruderschaft im Sinne der Regeln von 1665 direkt in Frage stellten.
Während der Feier des Gelages im Jahre 1705 warf der Schütze Heinrich Prein dem Stoffel Potthoff, der in den Jahren zuvor Scheffer der Gesellschaft gewesen war, öffentlich vor, dieser habe wissentlich billiges gepanschtes Bier ausschenken lassen, "und es wehre nur vor 2 oder 3 die den nutzen dar von hetten". Dies wäre natürlich im Beweisfalle ein eklatanter Verstoß gegen den §7 der von Maximilian Heinrich bestätigten Gründungsurkunde der Gesellschaft und den §6 der "Information und Anordnung" vom 28. November 1665 gewesen.
Als die Richter ihn aufforderten, seine Behauptung auch zu beweisen, machte Prein einen Rückzieher. In dieser Form habe er das niemals gesagt, er habe nur gemeint, wenn jeder Schütze gute Gerste abgäbe, bekäme man beim Fest auch gutes Bier gereicht. Die Untersuchung endetete somit ergebnislos. Immerhin zeigt uns dieses Protokoll, daß auch die Hirschberger zunächst ihr eigenes Bier gebraut haben oder aber von den Hirschberger Braumeistern aus der von ihnen allen abzuliefernden Gerste brauen ließen.
Auch gegen den bruderschaftlichen Teil der Satzung kam es zu Verstößen.
Am 29. Mai 1714 klagte man vor dem Magistrat gegen Jorg Rißen genannt Rolinck, daß dieser an seiner Stelle den Jorg Trineke bestellt habe, um den verstorbenen Jorg Michelß zu tragen und zu begraben. Rolinck entschuldigte sich mit einer Krankheit und gab vor, er hätte nicht die Absicht gehabt, Unwillen zu erregen. Dennoch wurde er zu vier Bütten Biers bestraft.
Aus diesen Gerichtsakten geht ebenfalls eindeutig hervor, daß zunächst noch nicht alle Hirschberger, sondern nur Angehörige der in der "Information und Anordnung" genannten Berufsgruppen in der Gesellschaft vertreten waren, denn selbst nach 1700 war man sich noch nicht im klaren, welche Handwerker in die Bruderschaft einzugliedern seien oder nicht.
An einem Verhandlungstag beschwerte sich z.B. Johann Bernd Becker darüber, daß sein jährlicher Beitrag auch den beiden Köhlern Tönnes Cracht und Lambert Spindeldreier zugute kam. Der Schuster Johann Lange, der für ein Paar Schuhe einen höheren Preis als den festgesetzten verlangt hatte, zeigte kein Verständnis dafür, daß man einem "unkathohschen, ausländischen" Schuhmacher, der nicht an die zünftischen Bestimmungen gebunden war, erlaubt hatte, in Hirschberg seinem Beruf nachzugehen. Dies wäre jetzt und auch zukünftig ein großer Nachteil für sein Handwerk und die gesamte Bruderschaft. Hermann Bickermann, den man vorgeladen hatte, weil er kein Wachs für seinen Lehrjungen abgeliefert hatte, betonte, daß dieser den Beruf des Radmachers erlerne. Dieses Handwerk sei aber nicht "zünftig", also brauche er für seinen Stift weder Wachs noch Beitrag zu bezahlen. Ihm wurde beschieden, daß man bis dahin die Lehrjungen der Radmacher nur nicht richtig beachtet habe. Dies solle in Zukunft anders werden.
Wie stark das korporative Denken in den Köpfen der Hirschberger verhaftet war, verdeutlicht ein extremer Fall aus dem Jahre 1711, in dem die Stadt gegen den Johann Michelß vorging, weil dieser nach dem Tode seiner Frau seinen Vetter Gaudentz Puppe nicht zum Begräbnis eingeladen hatte. Als Begründung führte Michelß an, Puppe habe eine Frau geheiratet, deren Vater in der Bruderschaft nicht zulässig sei. Die Stadtväter akzeptierten diese Entschuldigung nicht (mehr). Michelß wurde in Übereinstimmung mit der Amtsrolle zu einer Strafe von zwei Tonnen Bier verurteilt.
Es läßt sich noch ein weiteres Beispiel aus dieser Zeit finden, welches beweist, daß man in Hirschberg allmählich begann, fortschrittlicher zu denken. Am 20. Mai 1704 wurden zwanzig Schützen auf das Rathaus geladen, um darüber abzustimmen, ob man dem Müller Wrede den Eintritt in die Gesellschaft gestatten sollte. Die Mehrheit stimmte zu; ein für hiesige Verhältnisse schon recht erstaunliches Ergebnis, wenn man bedenkt, daß die Tätigkeit des Müllers seit dem Mittelalter zu den sogenannten "unehrlichen" Berufen gezählt wurde.