Die Anfänge der Gesellschaft
Wie wir bereits gesehen haben, können wir durchaus davon ausgehen, daß die Geschichte der Hirschberger Jungschützen bereits einige Zeit vor dem Jahre 1665 einsetzt. Zwar ist das Jahr 1584 keineswegs als ein gesicherter Zeitpunkt anzusehen, jedoch dürfen wir, der Aussage von REINTGES folgend. annehmen, daß auch die Anfänge der Bürgerschützen-Vereinigung einige Jahrzehnte vor deren erstem belegbaren Auftreten liegen.
Wenn wir weiterhin mit REINTGES, BROCKPÄHLER und VIEGENER darin übereinstimmen, daß es sich bei den Jungschützen in früheren Zeiten um eine Nachwuchs- und Rekrutierungsorganisation der Bürgerschützen handelte, aus der bei Bedarf (Todesfall etc.) die Mitglieder in die Reihen der bürgerlichen Gesellschaft aufrückten, dann ist es durchaus legitim, ja sogar erforderlich, den Bürgerschützen zumindest das gleiche Alter wie ihrer Nachwuchsorganisation zuzugestehen. Sie werden wahrscheinlich sogar älter sein.
So gibt es nicht nur gute Gründe, sondern auch Belege dafür, daß die Gesellschaft der Hirschberger Bürgerschützen doch um einiges älter ist, als die Bestätigungsurkunde Kurfürst Maximilian Heinrichs von Köln aus dem Jahre 1665 vorgibt. In dem bereits angesprochenen Protokollbuch der Schützenbruderschaft im Pfarrarchiv findet sich ein "Verzeichnis deren abgestorbenen Ambtsbrüdern in hiesiger stadt Hirschberg für welches dieses itzige seelen Ambt soll gehalten werden". Es handelt sich dabei um eine noch heute fortgeschriebene Auflistung sämtlicher verstorbenen Mitglieder der Schützenbruderschaft, für die alljährlich eine Messe gelesen werden soll. Wann dieses Verzeichnis angelegt worden ist, läßt sich, da weitere Angaben fehlen, nicht eindeutig feststellen. Es muß jedoch um bzw. bald nach 1665 geschehen sein.
Der erste Eintrag lautet auf den Namen Franz Otto Freiherr zu Weichs, dazu ist dann allerdings von anderer Hand und in späterer Zeit das Sterbejahr 1635 hinzugesetzt worden. Dies ist übrigens derjenige Freiherr von Weichs, der der Gesellschaft das rechte große Brustschild an der noch heute vom König getragenen Ehrenkette vermachte. Es folgt der Name von Mathias Burkard von und zu Weichs, gewesenem Kantor zu Hildesheim. Als Sterbejahr wurde hier 1653 nachgetragen.
Nicht genannt in diesem Verzeichnis sind Vater und Sohn Gaudenz von und zu Weichs, obwohl beide den Anstoß zur offiziellen Gründung bzw. Neubegründung des Schützenwesens in Hirschberg gegeben haben dürften. Der Vater war aber sicherlich der aktivere von beiden. Er ist nicht nur der Begründer der Statuten der Bürgerschützen, indem er für deren Niederschrift sorgte, sondern er erwirkte schließlich auch deren Bestätigung durch den Kurfürsten vom 27. November 1665. Um der Bruderschaft zu einem guten Start in ihr offizielles Dasein zu verhelfen, schenkte er ihr schon 1664 das linke große Brustschild der heutigen Königskette.
Am Dreifaltigkeitssonntag des Jahres 1665, der auf den 21. Mai fiel, also gut sechs Monate bevor die Bestätigung durch Maximilian Heinrich erfolgte, stimmten die Hirschberger Schützen den für sie ausgearbeiteten Statuten zu; die Bruderschaft war somit offiziell gegründet und bedurfte nur noch der Zustimmung des Kurfürsten. Ob Gaudenz von Weichs an der Ausarbeitung dieser Satzung direkt beteiligt war oder sie nur anregte, läßt sich heut ebenso wenig feststellen wie die Namen der Personen, die sonst noch dabei mithalfen.
Bei einer ersten Durchsicht wird aber gleich deutlich, daß es sich hier nicht so sehr um eine Regelung des Schützenwesens, sondern eher noch um eine Handwerks- oder Gewerbeordnung handelt. Dabei wird dann auch noch der bruderschaftliche Charakter weit mehr in den Vordergrund geschoben als das Schützenwesen an sich. Das Wort "Schützen" selbst taucht im gesamten Text nur dreimal auf (zweimal in der Präambel, einmal im ersten Artikel), immerhin wird aber das all-jährliche Gelage der Gesellschaft erwähnt (Artikel 5).
Es scheint den Hirschbergern also in den schweren Jahrzehnten nach dem 30-jährigem Krieg nicht so sehr darauf angekommen zu sein, ihren Heimatort militärisch zu schützen, sondern eher noch, in Anlehnung an die traditionellen Aufgaben mittelalterlicher und nachmittelalterlicher Handwerker- und Kaufleutekorporationen, den Mitgliedern der Gesellschaft ein
annehmbares Auskommen zu sichern, sie vor ungerechtem Wettbewerb und überhartem Konkurrenzkampf, aber auch die Bürger vor einer Übervorteilung durch die Bruderschaftler zu bewahren. Als Vorbild für die Hirschberger Ordnung soll die der Stadt Arnsberg dienen. Bürgermeister und Rat wird eine gewisse Kontrollfunktion zugebilligt.
Einen Tag nachdem die Bestätigung des Kurfürsten erfolgt war, machte man sich daran, die Bruderschaft in zwei "Klassen oder Rotten" einzuteilen, die dem Gebrauch früherer Zeiten entsprechend auch eine soziale Differenzierung mit sich brachten. Dem Kaufleute- bzw. Schützen-Amt, offensichtlich dem Zusammenschluß des wohlhabenderen Teiles der Bevölkerung, stand das Handwerker- oder Schmiede-Amt gegenüber. Wahrscheinlich griff man dabei aber auf eine Tendenz zurück, die bereits in der Entwicklungsphase des Schützenwesens begründet liegt, und die wir in dieser Form auch für die Anfänge in Hirschberg vermuten dürfen, daß nämlich die Schützen ursprünglich eine Eliteeinheit der Bürgerwehr waren, die sich durch den Grad ihrer Bewaffnung und Ausbildung aus dem übrigen zumeist mit Hieb- und Stichwaffen bewehrten Verteidigungsverband heraushob, und die sich zwangsläufig durch den Besitz der teuren Schußwaffen aus dem wohlhabenderen Kreis der Stadtbürger zusammensetzen mußte.
Man wird davon ausgehen können, daß sich auch im Hirschberg des Jahres 1665 bei weitem noch nicht jeder Bürger eine Schußwaffe leisten konnte, so daß allein schon von daher eine Unterscheidung nach Schützen, zu denen in diesem Fall auch die Insassen und Bediensteten des kurfürstlichen Schlosses zählten, und Nichtschützen durchaus noch gerechtfertigt wäre.
Es ist ebenso davon auszugehen, daß der Kreis der Mitglieder der Gesellschaft zunächst ausschließlich auf die Angehörigen derjenigen Berufssparten beschränkt blieb, die in der "Information und Anordnung", so nennt sich das Schriftstück, in dem die Einteilung vorgenommen wurde, genannt sind, also die Stadtbürger im engeren Sinne. Andere Hirschberger hatten in der Anfangszeit keinen Zutritt. Im Gegensatz dazu scheinen die Jungschützen bei ihren Neuaufnahmen weniger penibel vorgegangen zu sein.